Dennoch verlaufen Software-basierte Innovationen nach einem erkennbaren Muster und erklären den ungestillten Hunger von Investoren nach Unternehmen in diesem Bereich. Diese Entwicklung hat allerdings eine Konsequenz, der meines Erachtens noch nicht hinreichend Beachtung geschenkt wird: Jene Software-Lösungen bestimmen auch immer mehr die Prozesse innerhalb der Unternehmen, die diese Dienste einsetzen werden. Es erklärt aber auch, warum Innovationen selten nur von einem Anbieter getrieben werden.

Kaum erblickt nämlich das neue Programm das Licht der Welt entstehen oft sehr ähnlich aussehende Konkurrenten. Und auch ab diesem Punkt wiederholen sich die Ereignisse, denn das Angebot mit einer Kombination aus starkem Marketing, zielgerichteten Sales-Maßnahmen, den besten APIs und einem funktionierenden Eco- und Partnersystem wird sich am Markt durchsetzen. Nicht immer aber hat der spätere Gewinner unbedingt die technisch beste Lösung entwickelt, wie das folgende Beispiel zeigt.

Auch wenn CEO Stewart Butterfield behauptet, dass Slack mal so wichtig sein wird wie Strom1 — Zweifel sind aus meiner Sicht durchaus angebracht, da sich Kommunikation häufiger neu erfunden hat als Elektrizität — demonstriert der Dienst eine beispielhafte SaaS-Geschichte. Ein scheinbar sehr vergleichbares Produkt, ein Gruppenchat, dominiert den Markt. Die bisher nicht erreichte Profitabilität und ein erfolgreicher Börsengang, in der Spezialvariante eines Direct Listings2, runden das Bild ab. Als Gründe für die Dominanz von Slack sind der absolute Fokus auf eine flow-hafte Usability, die von Startups auf der ganzen Welt geliebt wird, die sehr erfolgreiche Verbreitung durch Word of Mouth und die anschließend clevere Positionierung als „Arbeitsplattform der Zukunft“ mit einem großen Eco-System3 zu nennen. Dass technisch der Tennant-basierte Ansatz zu unnötigen Unternehmenssilos in einer immer stärker verbundenen Welt führt und als eher suboptimal bezeichnet werden kann, wird auf Grund der ausgeprägten Nutzung mit mehr als 10 Millionen aktiven Nutzern am Tag4 einfach verdrängt. Egal, wie stark die Konkurrenz versucht auf die technische Schwäche des Dienstes hinzuweisen, keiner hat es wirklich geschafft aus dem Schatten von Slack heraus zu treten.

Was sich daran aber auch erkennen lässt: Wenn die Tech-Industrie beschließt, dass eine bestimmte Kategorie von Programmen zu einer unausweichlichen Notwendigkeit wird, sorgt dies automatisch für Nachahmer, so auch bei Slack5. Die Second Mover haben zwei leicht zu übersehene Vorteile: Sie sind viel schneller bei der eigentlichen Umsetzung, da die Idee bereits entwickelt wurde und die aller meisten User Stories, die Funktionalitäten aus Sicht des Nutzers, nur aufgeschrieben aber nicht mehr per se erfunden werden müssen. Zusätzlich können sich die später startenden Firmen auf die Fehler und Unzulänglichkeiten des Innovators konzentrieren. Sollten diese Vorteile nicht genügen, bleibt immer noch die Alternative sich aufkaufen zu lassen, wie die Nicht-SaaS-Beispiele der Rocket Internet Copycats CityDeals und Alando6 oder eben Atlassians HipChat und Slack7 zeigen.

Ein weiteres Collaboration Beispiel sind die SaaS-Meetings von Zoom. Jessica Lessin, Gründerin von The Information, schreibt direkt nach ihrer Babypause im kostenlosen Weekly Newsletter8 über den seit diesem Jahr ebenfalls an der Börse gelisteten Meeting-Anbieter: „But folks, it is still video conferencing, which is highly competitive and somewhat of a commodity.“ Überzeugte Cisco Collaboration Consultants werden spätestens jetzt die Hände über den Kopf schlagen. Erstens, Zoom wurde von den gleichen Personen wie WebEx (jetzt Webex Meetings) entwickelt9. Zweitens ist Ciscos Video- und Audio-Qualität sowie Hardware Integration mit Raumsystemen definitiv keine Commodity. Der best in class Status ist aktuell Cisco mit seinem Collaboration Angebot vorbehalten. Aber im Ergebnis sind es doch nur Videokonferenzen. Und Jessica hat vielleicht doch recht.

Digitalisierungskraft

Neben den zuvor beschriebenen Beispielen mit Chat, Videotelefonie und Meetings, sind Geschäftsprozesse ein exzellentes Feld für SaaS-Lösungen, die zwar bereits digital, sprich computer-gestützt aber nur mit Standardtools wie E-Mail, Excel-Listen und Word-Dokumenten bearbeitet werden. Egal, ob Schichtpläne, ERP, Buchhaltung, BI (Business Intelligence), Warenwirtschaft, digitale Signaturen und Freigabeprozesse oder CRM und Marketingautomatisierungen: Lösungen in der Kategorie SMB von Mailchimp bis Zoho Social oder bei den Enterprise-Schwergewichten von Smartsheet bis Salesforce und SAP geben jeden Schritt für die Mitarbeiter vor, steigern die Effizienz und sichern am Ende des Tages den Fortbestand des Geschäfts. Gleichzeitig sorgen die digitalisierten Prozesse für eine Austauschbarkeit. In manchen Branchen gilt das vielleicht sogar für ganze Unternehmen, die innerhalb ihrer Prozesse auf exakt die gleichen Lösungen setzen und lediglich der Grad der Individualisierung den digitalen Charakter der Firma bestimmt.

Während Automatisierung und Digitalisierung von Prozessen mit Hilfe von Softwareentwicklung auch von mir als Lösung vieler Herausforderungen gepriesen werden, ist nicht von der Hand zu weisen, dass dies in einem End Game zu einer sehr austauschbaren Welt an der Spitze führen muss. Worauf ich hinaus möchte: Hat sich erst mal ein Platzhirsch durchgesetzt, folgt die Masse quasi blind. Dies betrifft Firmen in West und Ost und sorgt für seine ganz eigenen Herausforderungen in unserer digital-globalisierten Welt. Dass dies auch die chinesische Politik umtreibt und nationale Alternativen zu Platzhirschlösungen vo IBM und Oracle fordert10, hat sicherlich nicht nur den aktuellen Handelskonflikt als Ursache, zeigt aber auch wie ein Stück bestimmte Software, tief in die Geschäftsprozesse integriert, Fluch und Segen zu gleich sein kann.

Daten-as-a-Service

Aber nicht nur Prozesse werden durch die Software- und Service-Anbieter zur Ware. Auf einem Global Conference Panel des Milken Instituts wurde die Big-Data Verarbeitung von Hedge Funds diskutiert11 und dabei argumentiert, dass zum Beispiel die Korrelation von Kreditkarten-Ümsätzen und Retailer-Absatzdaten mit Blick auf zukünftig veröffentlichte Quartalszahlen mal ein wichtiger Vorteil gewesen ist. Inzwischen wurde aus einer Competitive Advantage eine Notwendigkeit: Die Marktteilnehmer haben diese Fakten in ihren Entscheidungen längst berücksichtigt und sind in den Börsenkursen der entsprechend Unternehmen bereits mit eingepreist12. Fundierte Entscheidungen benötigen nun auch diese Daten. Im Ergebnis sorgt dies für eine höhere Einstiegshürde, um in das Geschäft der Hochfinanz zu kommen. Es braucht schlichtweg wahnsinnig viele Daten und Software, um überhaupt mitspielen zu können. Ein Wettrüsten, das dazu führt, dass nicht nur datentechnisch investiert werden muss, sondern auch die Mitarbeiter immer mehr Fähigkeiten und ein tiefes Verständnis für immer komplexer werdende Zusammenhänge am Arbeitsplatz der Kapitalismusspitze benötigen. Während früher die Spezialisierung im Rahmen eines White Collar Jobs ein wichtiger Faktor gewesen ist, braucht es jetzt viel mehr die gleichzeitige Einsicht in eine Vielzahl von Aspekten und somit die analytische Fähigkeit zu erkennen, was morgen wichtig sein wird.

Ein weiteres Datenbeispiel ist der automatisiert berechnete Total Adressable Market (TAM) von CB Insights13. Natürlich hat den versierten Venture Investor schon früher interessiert wie groß der Markt für die Firma, in die potentiell investiert werden soll, aktuell ist und vielleicht mal sein wird. Aber teure14 und dennoch einfache Lösungen sorgen dafür, dass aus einer spezialisierten Analystenaufgabe nicht nur eine Commodity sondern auch eine Verpflichtung für die ersten Folien eines Pitchdecks wurde.

Chancen und Herausforderungen

Zusätzlich kann beobachtet werden, dass die hauptsächlich per Nutzung bezahlten Dienste für mehr Geschwindigkeit in der Produktinnovation sorgen. Mit Hilfe diverser B2B Services lassen sich komplette Geschäftsfelder auf dem Rücken von Spezialanbietern entwickeln. Die durch diese Anbieter zur Verfügung gestellten APIs werden in einer neuen, kombinierenden Systemlogik vereint und fassen einen komplett neuen Business Case in einem Interface zusammen. Ein Beispiel sind die zahllosen Banking APIs, die die Herausforderungen in beispielsweise den Bereichen Zugang zum Zentralbankensystem, KYC, AML und sichere Authentifikation lösen. Genau auf Basis dieser Banking APIs15 konnte eine Challenger Bank wie N26, die sich zudem vollständig in die Hände von AWS16 begeben hat, einen ebenfalls vergleichbaren Dienst — ein Konto mit Kreditkarte — mit viel geringeren Investitionskosten erschaffen. N26 spart sich das physische Hardware-Infrastruktur-Team, ist dafür aber umso abhängiger von seinem Cloud Provider und diversen kleinen Helferlein, die zum Beispiel im Hintergrund die Identitätsbestätigung übernehmen.

Des Weiteren ist SaaS ein Enabler von Small Businesses Große Investitionskosten, sogenannte CapEx (Capital Expenditures), welche die Bilanz einmalig belasten, werden nicht mehr benötigt. So können auch kleine Unternehmen, ohne dedizierte IT-Abteilung nur mit einer Kreditkarte „bewaffnet“, eine vollständige und ziemlich professionelle IT-Infrastruktur aus der Cloud beziehen: Office-Lösungen inklusive E-Mail von Microsoft oder Google, CRM von Hubspot, Speicher von Dropbox, Personalverwaltung von dem deutschen Anbieter Personio und als ERP Software eine der vielen Branchen-Lösungen inklusive einfacher Anbindung an den Steuerberater durch DATEV, fertig ist das digitale Unternehmen.

Alles was einen Vorteil besitzt, hat meist auch Nachteile. SaaS kann nicht nur für größere Unternehmen schnell zur Kostenfalle werden. Die monatlichen und meist per Nutzer berechneten Kosten lassen zwar die Anfangsinvestitionen verschwinden, die Gesamtkosten sind jedoch über mehrere Jahre betrachtet nicht immer geringer. Stichwort ist hier der sogenannte Total Cost of Ownership17 (TCO). Zusätzlich wird im Rahmen einer TCO Berechnung nicht immer auch die Exit-Strategie bewertet. Sobald der Dienst nicht benötigt wird, fallen zwar keine weiteren monatlichen Kosten an, nichts desto trotz werden die in der SaaS-Lösung befindlichen Daten meist weiterhin benötigt. Wie hoch ist der Aufwand diese Daten aus dem Cloud/SaaS-Anbieter zu exportieren und in eine andere Lösung zu migrieren? Don’t throw a mattress into a swimming pool — außer die Konsequenzen sind bekannt und in den Entscheidungen hinreichend berücksichtigt.

Zusätzlich führt die Vielzahl von SaaS-Verpflichtungen zu ganz eigenen Management-Herausforderungen: Egal ob Rechnungen, die nicht immer per E-Mail verschickt werden können oder einfach nur den Überblick zu behalten, welche Dienste im Unternehmen zum Einsatz kommen. Anbieter wie Flexera versuchen mit SaaS Managern18, den es schon seit ein paar Jahren gibt, vor allem für Firmen mit zentralen Einkäufen (Procurement) Abhilfe zu schaffen.

Aber auch technisch ist SaaS nicht immer schlüsselfertig für Unternehmen. Oft fehlen Anbindungen an AD/LDAP-Dienste für zentrales Benutzer- und Rechtemanagement oder die Möglichkeit alle Cloud-Dienste, die man inzwischen für viel Geld jeden Monat nutzen darf, in einem Dashboard zusammen zu fassen. Der Schritt zu enterprise-ready erfordert manchmal genau so viel Entwicklungsaufwand wie die Umsetzung der ursprünglichen Innovationsidee und lohnt sich für manche Dienstanbieter nur bei entsprechender Traktion im Markt oder der klaren Zielgruppe mit einer gewissen Unternehmensgröße.

SaaS wird von den Investoren dieser Welt geliebt, da der Weg zur Profitabilität von Dienstanbietern als hinreichend erforscht gilt19. Zusätzlich bringen Unternehmen, die Software as a Service anbieten wiederkehrende Umsätze und somit Planbarkeit für kommende Quartale — auch aus Sicht der Shareholder. Gilt aber, wie der Titel andeutet, dass diese Dienste automatisch aus dem der Lösung zugrundeliegenden Prozess eine Ware werden lassen? Nicht direkt und vor allem nicht unmittelbar. So lange die Lösung und somit auch der digitalisierte Prozess noch the shiny new Thing ist und als Innovation verkauft wird, bleibt der Waren-Charakter kaum erkennbar. Erst wenn die Lösung Nachahmer gefunden hat und die Firmen dieser Welt auf eine tiefe Integration des Dienstes in ihre Geschäftsprozesse gesetzt haben, entscheidet sich schnell, ob die Lösung zu einem Platzhirsch am Markt herangewachsen ist sowie andere Challenger und Visionaries20 abschrecken konnte.

Spielt es eine Rolle? Denn egal, ob die Lösung, die den Markt dominiert bereits klar oder die Spitzenposition noch umkämpft ist: Entweder sorgt das Plus an Konkurrenz für einen höheren Innovationsdruck oder es bleibt mehr Zeit für Innovation on Top des Platzhirschen. Über jedes System kann mit Hilfe der angebotenen APIs ein weiterer Layer gezogen werden, der für ein weiteres Raffinieren der Prozesse sorgt, wie das Beispiel zu Beginn von Slack mit seinem starken Eco-System oder der Blick auf die Finanz APIs zeigen.

Auch hier bearbeiten die zusätzlichen User Stories in der Funktionalität den gleichen Kern, nämlich den kommunikativen Austausch oder die Transaktion von Werten — mit dem gleichen Ziel der weiter voranschreitenden Digitalisierung von Prozessen.

  1. https://www.cnbc.com/2019/05/13/slack-releases-new-financials-ahead-of-investor-day.html
  2. https://www.barrons.com/articles/the-slack-ipo-is-coming-what-to-know-about-the-direct-listing-51560331806
  3. https://slack.com/apps
  4. https://slackhq.com/slack-has-10-million-daily-active-users
  5. https://equityzen.com/knowledge-center/blog/chat-app-battle/
  6. https://thehustle.co/rocket-internet-oliver-samwer
  7. https://www.theverge.com/2018/7/26/17619482/slack-hipchat-acquisition-stride-atlassian-partnership-microsoft-teams-competition
  8. https://www.theinformation.com/newsletter
  9. https://techcrunch.com/2019/02/22/report-zoom-the-video-conferencing-company-may-be-a-public-company-as-early-as-april
  10. https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-06-24/china-s-biggest-startups-ditch-oracle-ibm-for-home-made-tech
  11. ab Minute 46:12 https://www.youtube.com/watch?v=Zk4v41mNpMU
  12. https://www.bloomberg.com/news/articles/2018-11-29/the-trouble-with-using-alternative-data-to-gain-an-investing-edge
  13. https://www.cbinsights.com/market-sizings
  14. ab ca. US$ 120.000 pro Jahr: https://www.cbinsights.com/pricing
  15. https://www.it-finanzmagazin.de/api-banking-ueberblick-linsenbarth-86457/
  16. http://blog.honeypot.io/what-is-it-like-to-work-at-Number26/
  17. https://www.gartner.com/it-glossary/total-cost-of-ownership-tco
  18. https://www.flexera.com/products/spend-optimization/saas-management.html
  19. https://techcrunch.com/2015/08/28/the-math-behind-saas-startup-valuation/
  20. https://www.gartner.com/en/research/methodologies/magic-quadrants-research