Während private Nachrichtendienste wie WhatsApp schon lange ihre Schatten in die beruflich verwendete IT werfen, erscheinen momentan (gefühlt) wöchentlich Anwendungen, die speziell für den Einsatz im professionellen Kontext konzeptioniert sind.

Microsoft wirft mit seiner kostenlosen Version von Teams einen weiteren Office 365 Köder aus und liefert auf die Art seine ganz eigene Antwort auf Slacks "Welcome to the Game"-Zeitungsanzeige1. Unter der Führung von Salesforce erhält Quip ebenfalls Chat-Funktionalität und wildert im Bereich von Slack & HipChat, Slack kauft direkt HipChat, Google positionierte Hangouts einschließlich eines All-in-One Video Conferencing White Boards neu, Amazon veröffentlichte Chime und Twist - ein Foren-ähnlichen Diskussions-Tool - von den Machern der To-Do-App Todoist sind nur eine kleine Übersicht der neuen Spieler um unsere professionelle Aufmerksamkeit.

Was bewegt Firmen, die ihren Schwerpunkt eigentlich auf anderen technischen Unternehmenslösungen haben, in den eh schon hart umkämpften Markt der Chat-Kommunikation? In einer Übersicht von Sameroom.io, einem Startup, das sich auf die Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Chat-Plattformen spezialisiert hat, gibt es mindestens 60 Instant-Messaging-Protokolle bei 100+ Anwendungen2. Tendenz stark steigend. Auf der anderen Seite haben sich auf dem Smartphone eine kleinere Anzahl von Apps in der vornehmend privaten Chat-Kommunikation durchgesetzt: WhatsApp, Facebooks Messenger & iMessage sowie mit einigem Abstand Telegram, Threema, Viber, Hoccer, Wire, Signal etc. pp.

Während die offene Liste zeigt, dass schon seit Jahren neue Kommunikationsprogramme auf den Markt geworfen werden - die lockere Formulierung passt besonders für die nur schwer zu erkennenden Geschäftsmodelle mit unseren Nutzerdaten - sind dies nur die letzten Einträge in einer längeren Chat History. Alle, die sich bereits vor 20 Jahren mit dem Internet verbunden haben, erinnern sich an den AOL Instant Messenger (AIM) und ICQ. Obwohl ICQ von einem israelischen Startup gegründete wurde, gehörte es für mehr als 10 Jahre ebenfalls zu AOL bis der Dienst schlussendlich in Russland sein neues Corporate Zuhause gefunden hat. Zu diversen anderen Protokollen wie dem Windows Live Messenger kamen dann die Tools wie Trillian oder Pidgin, mit denen mehrere Dienste/Protokolle in einer Anwendung konsolidiert werden konnten. Und obwohl der Begriff App erst mit Erfindung von Apples Appstore fester Bestandteil unseres Wortschatzes wurde, sind diese kleinen Anwendungen, die gedanklichen Väter der heutigen (Chat-)Apps. Die Tools von damals boten Teenagern den sozialen Anschluss an Gleichgesinnte. Jetzt treibt der Wunsch nach höherer und besser zu kontrollierender Produktivität immer neue Teilnehmer in den Markt, die sich ihren Teil vom Arbeitskuchen sichern wollen.

Was mit Blick auf das hier klar zu erkennende Geschäftsmodell durchaus verständlich ist: Konsequent setzen die Anbieter auf ein Abo- bzw. Subscription Modell und somit auf die lohnende Kombination aus regelmäßigen Einnahmen (Recurring Revenues) bei absoluter Notwendigkeit. Denn welches Unternehmen würde schon das Telefon kündigen oder die E-Mail abschaffen wollen? Dass laufende Verträge statistisch gesehen eher behalten und oft auch automatisch verlängert als gekündigt werden, ist eine nette mathematische Ergänzung in dieser Formel.

Ist Chat- und Text-Kommunikation ein isoliertes Thema? Eher weniger. Wir befinden uns in einem gesellschaftlichen Umbruch, der unter dem Titel „Zukunft der Arbeit“ seit mehreren Jahren durch die digitalen Dörfer getrieben wird. Auch wenn diese Zukunft im gefühlten deutschen Arbeitsalltag (noch) nicht flächendeckend angekommen ist. Die Notwendigkeit professioneller Chat Tools lässt sich auch mit der größer werdenden Zahl von Remote Companies begründen. Unternehmen, die ausschließlich auf Arbeitnehmer setzen, die von einem Platz ihrer Wahl arbeiten dürfen/können/sollen und sich nur ein bis zwei Mal jährlich für sogenannte Firmen Retreats (und Mitarbeitergespräche) treffen. Beispiele sind Zapier, InVision, GitLab oder auch die Macher von Todoist/twist. Unser berufliches Leben wird mit dem Umzug in die Cloud zunehmend einer digitalen Zentralisierung unterzogen während die Räumlichkeiten dezentraler sein können - oder wie im Fall der Remote Companies sogar müssen. Mietkosten für Büroräume können gar nicht günstiger sein. Aber auch kompetenter 24/7 Service lässt sich nur Zeitzonen übergreifend anbieten, denn selten wollen hoch-spezialisierte Knowledge Worker bei gleichzeitigem Fachkräftemangel im Schichtbetrieb arbeiten. Des Weiteren lassen sich Entwicklungszeiträume von Produkten durch Teams in sich ergänzenden Zeitzonen verkürzen, da die Nächte zum Tag und umgekehrt gemacht werden können.

Die Zukunft der Arbeit besteht im Wesentlichen aus drei Trends, die allesamt von Antworten in quasi Echtzeit profitieren:

Anbieter von speziellen Freelancer Tools wie AND CO, einem Abrechnungs- und Projektmanagement Programm für den Contract Worker und digitalen Nomaden von heute, sehen in dieser Veränderungen sogar einen Vorteil für alle Beteiligten. Unternehmen bekommen bessere Ergebnisse, Performance auf den Punkt, bei exakt kalkulierbaren Kosten und die neuen Flexiblen bzw. Expendables endlich ihre Freiheit.

Welches Problem lösen aber diese Tools genau, die nicht durch E-Mail, Telefon und (Online-)Meetings abgedeckt werden können? In Gruppen-Chats sehen alle die gleiche lineare Kommunikation. Niemand muss mehr den Versuch unternehmen kompliziert-verschachtelte E-Mail Konversationen einem neuen Projektteilnehmer verständlich weiterzuleiten, um am Ende doch eine Projekt-Zusammenfassung schreiben zu müssen. Chat Tools mit gespeichertem Nachrichtenverlauf erledigen genau diesen Trick und führen zu einer Verschmelzung von synchroner und asynchroner Kommunikation. Zusätzlich bietet die Benachrichtigung in Form einer „roten 1“ die weniger invasive aber trotzdem dringliche/zeit-sensitive Möglichkeit direkt eine Antwort zu erhalten. E-Mails liegen je nach Arbeitsmentalität gerne mal einen Tag (einige auch bis zu einer Woche) ungelesen oder unbearbeitet in der Inbox und Anrufe bringen zwar meist direkt eine Antwort, aber vielleicht nicht die, die man wollte, da man seinen Gegenüber zu einem schlechten Zeitpunkt erreicht hat.

Aus einer funktionalen Perspektive lassen sich zwei grundlegende Arten von Tools beobachten. Zum einen die IRC Nachfolger, jene Chat-Server mit einer Vielzahl von Räumen und Moderatoren zu denen man sich mit Hilfe eines IRC Clients verbindet und zum anderen Foren-ähnliche Programme, die mehr auf Threads und Topics setzen. Mal mit linearen Nachrichtenverlauf, mal ohne wie beispielsweise Twist und Quip. Wahlweise werden Programme jeglicher Couleur noch mit Video- und Audio-Call sowie Meeting Funktionen ergänzt und sollen die Zukunft der Arbeit endlich erfahrbar machen. Und obwohl immer mehr Echtzeit-Kommunikationsprogramme bewegtes Bild und Live Ton anbieten, ist eine Verbindung zwischen zwei Plattformen und Protokollen so gut wie nie möglich. Ciscos Klimmzüge, Meetings zwischen Skype (4 Business) und seinen eigenen Video Lösungen in diesem Bereich möglich zu machen, dürfen hier als lobende Ausnahmen genannt werden.

Die spannende Frage, die sich IT Verantwortliche stellen - sind die beiden Arten von Tools Ersatz für einander oder ergänzen sie sich doch sinnvoll? Das richtet sich vor allem nach der zu erledigenden Arbeit. Findet mehr Routine- oder mehr Projektarbeit statt? Kann die Zukunft der Arbeit mit einem Tool für ein Unternehmen gelöst werden? Unwahrscheinlich. Gleichzeitig werden CIOs tunlichst vermeiden wollen zwei Tools gleicher Art einzuführen, die dann wieder nicht miteinander sprechen und zu weiteren Silos führen würden, die wir doch mit flachen Hierarchien und interdisziplinären Teams in den letzten Jahren versuchten abzubauen.

Obwohl seit Beginn des Internets die Chat Kommunikation präsent ist, drückt sie sich gerade mit einer enormen Kraft in den Markt. Zwei Dynamiken sind die großen Treiber: Ein sich ändernder Gesellschaftsvertrag, der von Sicherheit und (vielleicht ungerechtfertigter) Loyalität zu Firmen bzw. Arbeitgeber - spätestens seit Einführung der Entlassung für die Rettung der Quartalszahlen in den 90ern - sich zu mehr Freiheit verändert. Auf der anderen Seite wollen die Leistungsträger flexibler sein aber das Work Product muss für die Nachfolger auf den jeweiligen Positionen gesichert und zugänglich gemacht werden. Denn nicht nur der fertige Vertrag oder die abgeschlossene Photoshop/PowerPoint/etc.-Datei sondern auch der Entstehungsprozess mit allen Fehlern und Korrekturen sind das Intellectual Property eines Unternehmens. Collaboration Spezialist Cisco bewirbt beispielsweise, dass auch die Kommunikation mit externen Partnern in der eigenen Spark Webex Teams Cloud gesichert und späterer Zugriff darauf gewährleistet ist.

Gleichzeitig bieten Chat- bzw. Produktivitätstools dieser Art die Möglichkeit mit verhältnismäßig wenig Aufwand und gut dokumentierten APIs/Schnittstellen externe Dienste automatisiert in den Nachrichtenverlauf zu integrieren. Mit ein wenig mehr Programmierleistung lassen sich auch Chat Bots in der Form von nicht menschlichen Chat-Teilnehmern erstellen, die mit Hilfe von kurzen Text-Kommandos externe Dienste anstoßen können, wie beispielsweise einen Server neu zu starten. Die Bausteine für die zukünftige Arbeit liegen bereit und warten, dass Firmen, clevere IT-Verantwortliche und Arbeitnehmer herausfinden, wie das Spiel unserer 40-Stunden Wochen in Zukunft läuft. Ob es wie bei Startups zu einer 24/7 Verfügbarkeit mit Slack Push Notifications auf allen Endgeräten - auch dem privaten Smartphone oder Tablet - führt? Fraglich. Oder setzen sich am Ende des Tages doch wieder Kernarbeitszeiten aus früheren Jahrzehnten der Arbeit durch? Werden auch handwerklichere Branchen den Anschluss an die neue Chat-Realität finden? Spannende Fragen, auf die wir sicherlich in wenigen Jahren Antworten sehen werden.

Zum Abschluss ein kleiner Blick zurück: Die aktuelle Welle des Chat Hypes wurde vor allem aus der Software-Entwicklung von Startups getrieben, die gerne konstant produktiv sind/sein wollen und sich die Zwischenzeit mit nerd-lastigen Memes vertreiben - ich zähle mich hier gerne dazu (hat jemand gerade den Link irgendwasmitwerbung.tumblr.com gepostet?!). Als Produktvorreiter sind hier Slack und HipChat zu nennen. Aber auch geistige Zwillinge wie Mattermost oder Rocketchat. Darf aber gefühlt ständige Erreichbarkeit zu unbegrenzter Verfügbarkeit führen? So wird auch in Remote Companies vermehrt über Kern-Arbeits- bzw. Online-Zeiten gesprochen3. Auch wenn es keine wirklichen Neuigkeiten bzw. Erweiterungen zum Internet Relay Chat (IRC) oder Foren-ähnlicher und mit Diskussions-Topic-getriebener Software gibt, liegt eine Veränderung in der Luft/im Äther/in der Cloud. Die neuen Umstände zeigen uns nur die Nützlichkeit dieser Tools, die Teenager und Fortschrittsgetriebene Nerds schon vor mehr als 15 Jahren mit ICQ und Co. erkannt haben. So lässt sich auch erklären warum Cisco nach dem Rebranding unter Webex seine Chat & Meeting Lösung mit großer Marketingleistung stärker in den Markt treiben will.

Gilt also, nichts ist so konstant wie der Wandel? Nur teilweise. Ersetzbarkeit und Flexibilität gehen wie so oft Hand in Hand und sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Ein Work Product, das einfach nachgelesen werden kann, führt zu weniger Herrschaftswissen und die aktuelle Leistung rückt weiter in das Zentrum der regelmäßigen Performance Reviews. Gleichzeitig werden das absolute Talent und der leistungsbereite Professional auf größere Flexibilität bestehen. Für Unternehmen und Menschen werden die Regeln der zukünftigen Arbeit ein weiteres Mal schneller. Glück für alle, die ein Faible für Geschwindigkeit haben.

  1. https://www.theverge.com/2016/11/2/13497766/slack-microsoft-teams-new-york-times-ad
  2. https://cdn.sameroom.io/chat-timeline.pdf
  3. https://www.invisionapp.com/blog/team-excel-remote-collaboration/